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Aktuelles aus der WIR

WIR – Werkstatt für Integration und Rehabilitation gGmbH

Shaikho aus Syrien – gelungene Integration hat ein Gesicht

12. Dezember 2024

Shaikho aus Syrien – geboren am 01.01.1999 oder vielleicht auch am 06.01.2000 – man weiß es nicht und Shaikho weiß es auch selber nicht – weil es in Syrien keinen Kalender gibt, wie man ihn in Deutschland kennt und weil in Syrien auch Geburtstage nicht gefeiert werden. Irgendeine Behörde hat Shaikho dieses Geburtsdatum zugewiesen und irgendwann eine andere Behörde noch ein anderes Geburtsdatum. Laut den deutschen Behörden ist Shaikho heute also irgendwas zwischen 24 und 25 Jahren alt.

Shaikho lebt seit 2015 in Deutschland. Er ist als Jugendlicher im Alter von vielleicht 15 Jahren aus Syrien nach Deutschland geflohen.

2015 herrschte in Syrien bereits seit einigen Jahren Bürgerkrieg: Kämpfe, Bombenangriffe, Kriegsverbrechen, Menschenrechtsverstöße. Fast die Hälfte der syrischen Bevölkerung befand sich auf der Flucht. Damit verbunden eine humanitäre Katastrophe, Leid und Hunger.

Shaikho floh zusammen mit einem syrischen Nachbarn aus Damaskus. Wegen seiner Behinderung schickte seine Mutter Shaikho nach Deutschland, während sie selber ihrem anderen Sohn nach Saudi Arabien folgte, der dort bereits Arbeit gefunden hatte. Shaikhos Flucht ist mehr als 4000 km über den Libanon, die Türkei und Mazedonien erfolgt. Die ersten 9 Monate hat Shaikho in Deutschland in einem Asylbewerberheim gelebt. Von da aus wurde er durch das Jugendamt in Obhut genommen und wohnte fortan in einer betreuten Wohngruppe für Minderjährige.

Zu einer im Schulalter attestierten geistigen Behinderung in Form einer Lernbehinderung und verminderter Intelligenz kam dann später noch die Feststellung einer psychischen Erkrankung dazu. Sein eingeschränktes kognitives Leistungsniveau wirkt sich schwer auf das Erlernen der deutschen Sprache aus. Shaikho leidet unter Depressionen und einer posttraumatischen Belastungsstörung aufgrund von Kriegserlebnissen. Flashbacks, hohe Schreckhaftigkeit und eine schwankende Stimmungslage – sind nur einige der Anzeichen, die in den Attesten in seiner Akte stehen.

Narben als Zeichen von Selbstschädigung durch Ritzen sind auf seinen Unterarmen sichtbar. Er sagt, wenn er Polizisten sehe, werde er immer an seine schwierigen Erlebnisse in Syrien erinnert und es gehe ihm dann schlecht. Wenn er an seine Familie denkt, fühle er Angst, Sehnsucht, Trauer und Wut gleichzeitig.

Shaikho hat immer gesagt, dass er arbeiten möchte. Aus verschiedenen Gründen geht das in Deutschland aber erst einmal nicht. Zuerst nicht wegen der Schulpflicht. Dann dauert es Jahre, bin man in Deutschland eine Arbeitserlaubnis bekommt. Letztlich kamen bei Shaikho noch mangelhafte Sprachkenntnisse und seine Behinderung als Barrieren hinzu.

Im Sommer 2018 hat Shaikho ohne Abschluss die Schule verlassen. Es folgte ein Integrationskurs, der ebenfalls ohne Abschluss blieb. Eine fachärztliche Stellungnahme aus psychodiagnostischer Sicht empfahl Shaikho eine langfristige Unterstützung u.a. im Bereich Arbeit und Ausbildung.  

Das war der Schlüssel zum Eintritt in die Werkstatt für Menschen mit Behinderung der WIR gGmbH. Hier hatte Shaikho Beschäftigung und Gesellschaft. Der junge Erwachsene lernte grundlegende Strukturen und Arbeitshandlungen. Schnell war klar, dass Shaikho keine lange sitzende Tätigkeit ausführen konnte sondern lieber draußen war und körperlich arbeiten wollte. Die Beschäftigung in der Gartengruppe der WIR entsprach schon viel mehr seinen Interessen.

Frau Saenger, die Inklusionsmanagerin der WIR Hürth, hat Shaikho einen Praktikumsplatz im Forstunternehmen Koll in Hürth Berrenrath vermittelt. Das Forstunternehmen befindet sich auf einem Aussiedlerhof im Feld von Berrenrath. Es ist ein Familienunternehmen mit 10 Mitarbeitern. Der Inhaber und Chef des Unternehmens Dennis Koll war gleich sehr zufrieden mit der Arbeit von Shaikho und schätzt seine zuverlässige, ruhige und höfliche Art. Aus dem Praktikum wurde dann bald ein Betriebsintegrierter Arbeitsplatz im Forstunternehmen Koll. Seit April 2023 erledigt Shaikho dort die Arbeiten auf dem Hof und in den Hallen. Er hält die Betriebsstätte sauber, macht Brennholz, kümmert sich um Pferde und Hunde des Hofes. Dazu hilft er auch auf den Baustellen aus.

Herr Koll beschreibt Shaikho als sehr fleißig und motiviert, neue Dinge zu lernen. Shaikho ist mittlerweile so routiniert in seinen Aufgaben, dass er gar nicht mehr wegzudenken wäre vom Hof. Durch die Mitarbeit im Team ist Shaikho in der Gesellschaft integriert. Er lernt die Sprache so viel leichter. Sein Chef leistet ihm Hilfestellung bei behördlichen Angelegenheiten oder bei alltäglichen Dingen wie der Erwerb einer Fahrkarte im Onlineportal der Deutschen Bahn.

Anfangs legte Shaikho den Weg von seinem damaligen Wohnort Brühl zur Betriebsstätte nach Berrenrath immer mit dem Fahrrad zurück. Eine Suche nach einer neuen Wohnung erwies sich für Shaikho als sehr schwierig. Sein Chef Herr Koll hat ihm kurzerhand eine kleine Wohnung auf dem Hof eingerichtet. Auf diese schöne und neue Wohnung ist Shaikho sehr stolz. Nun braucht Shaikho nicht nur nicht mehr mit dem Fahrrad bei Wind und Wetter zu fahren, sondern hat auch gleich noch Familienanschluss. Familie Koll wohnt auch auf dem Hof. Das Verhältnis zueinander ist gewachsen, überaus freundschaftlich und familiär. Shaikho passt auch auf die kleine Tochter auf und geht mit den Hunden spazieren.

Shaikho blüht in seinem Umfeld richtig auf. Familie Koll hat ihn in ihr Herz geschlossen. Im Moment macht Shaikho seinen Rollerführerschein. Auch ein Zeichen für seine positive Entwicklung. Shaikho und Herr Koll sind sich darüber einig, dass Shaikho auch den PKW-Führerschein schaffen würde mit der nötigen Unterstützung seines neuen familiären Umfelds. Hobbys hat Shaikho auch: er geht ins Fitnessstudio und spielt Fußball.

Gerne stand Shaikho für Fotos bereit, die WIR auf unsere Homepage setzen dürfen. Das machen wir sehr gerne, denn gelungene Inklusion und vor allem auch Integration – Menschen die einander unterstützen, weil sie die anderen Menschen mögen! – das soll auch gezeigt werden

Bei all dem Glück, welches Shaikho heute erfährt, er lebt in Frieden, er hat eine Wohnung, er hat genug zu Essen und zu trinken, er hat eine Arbeit, er hat eine neue Familie und neue Freunde, er hat Spaß – gibt es auch nach wie vor Momente, die geprägt sind von Trauer, Wehmut und Sehnsucht. Wenn er an seine Heimat in Syrien denkt, wenn er an Flucht und Kriegserlebnisse denkt und wenn er sich über Videocall mit seiner Familie und seinen alten Freunden, die in der ganzen Welt verstreut sind – unterhält. 

WIR wünschen Shaikho und seiner neuen Familie alles Gute und viele schöne Momente bei dem weiteren gemeinsamen Weg. WIR wünschen ihnen, dass sie den Weg weiter zusammen gehen wollen und es vor allem auch können!

Gerne geben WIR gelungener Integration ein Gesicht.

„Rückführung nach Syrien“ sind Schlagworte, die gerade fallen. Wohin sollte Shaikho denn gehen?! Als ob die Wohnung, die er vor 10 Jahren verlassen hat, noch frei wäre?! Seine Familie ist in der ganzen Welt verstreut – er würde in Syrien, welches er als Kind verlassen hat, wahrscheinlich niemanden mehr kennen! Und warum sollte er auch gehen sollen?! Er hat sein Leben gerade hier aufgebaut, er ist jung, er hat Arbeit, er ist angekommen. Hier würde er eine Familie zurücklassen, die ihn ins Herz geschlossen hat. In Syrien herrscht Chaos, Shaikho wäre dort vollkommen hilflos!